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Paderborn - Schöne neue Welt


Was es bis vor kurzem bedeutete, in Paderborn zu wohnen:

Auf einer Singleparty

42-jährige lispelnde Kindergärtnerin mit leichtem Überbiss und starkem Übergewicht: Wo wohnst du?

Ich: In Paderborn.

42-jährige: Ich bin sofort zurück, pudere mir nur kurz die Nase.

Ich: Das sagen sie alle.


Was es heute bedeutet, in Paderborn zu wohnen:


Auf einer Singleparty

21-jähriges Model: Wo wohnst du?

Ich: In Paderborn.

21-jähriges Model: Lass uns sofort zu dir nach Hause!

20-jähriges Model: Ich habe ihn zuerst gesehen!

19-jähriges Model: Ich bin bewaffnet, überlasst ihn mir!

Mehrere sehr junge Models (darunter auch einige Zwillinge) im Chor: Chuck, nimm uns doch einfach alle mit!

Polizistin: Ihr seid alle verhaftet! (zu mir) Hast du heute schon was vor?

Ich:  Halleluja!

Ich denke, diese alltägliche Situation aus meinem Leben illustriert auf recht anschauliche Weise, wie weitreichend die Folgen sind, die der überraschende Bundesliga-Aufstieg des SC Paderborn zeitigt. Bei aller Euphorie darf man jedoch nicht die Kehrseite des unverhofften Ruhmes vergessen. Gerade für den ruheliebenden Paderborner, der es sich seit Jahrhunderten mit Häkeldeckchen und Taschen-Wauwau auf dem Kuschelsofa Ostwestfalens bequem gemacht hat, lebt es sich neuerdings recht unbequem.  Deshalb  möchte ich nachfolgend einige der unerfreulicheren Episoden der jüngsten Geschichte jener Stadt erzählen, die sich in wenigen Wochen von einem hässlichen Provinzentlein zu einem stolzen Champions League-Schwan gemausert hat.


Episode 1: Das SCP-Brot

Nur wenige Tage nach dem Aufstieg sprang auch der Bäcker meines Vertrauens auf den lukrativen Marketing-Zug auf und bot eine neue Brotsorte feil, die in einer solchen Eile entwickelt worden war, dass sie jede erdenkliche Grenze des guten Geschmackes mit sagenhafter Gründlichkeit torpedierte. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, das Brot sei von einem in Kundennot geratenen Zahnarzt entwickelt worden. Doch sämtlichen Gesundheitsrisiken zum Trotz verkauft es sich bis heute wie warme Semmeln, während die vorher so beliebten warmen Semmeln ein bemitleidenswertes Schattendasein fristen. Hieße dieses Brot Roggenbrot, so wäre der Ruf des Roggenmehls bis zum jüngsten Tage dahin. Doch es heißt nicht Roggenbrot. Es heißt „SCP-Brot“.


                                                           Interessant für Demonstranten: Das SCP-Brot


Episode 2: Am digitalen Ticketschalter

Waren wir es aus Zweit- und Drittligazeiten noch gewohnt, mit dem Trecker direkt am Stadion zu parken und den einzigen Ordner durch kitzeln abzulenken, um unbemerkt in den kostenlosen Genuss eines kampflosen 0:3 gegen die ersatzgeschwächte Reserve des SV Sandhausen zu gelangen, müssen heuer völlig andere Geschütze aufgefahren werden: Wer ein Heimspielticket ergattern möchte, ist auf den Online-Vorverkauf angewiesen. Für den Online-Vorverkauf muss man online sein. Um online sein zu können, müssen DSL-Leitungen vorhanden sein. Wer auf vorhandene DSL-Leitungen zurückgreifen möchte, muss die Stadt verlassen. Die Stadt zu verlassen bedeutet, seine Ernte zu vernachlässigen. Wer seine Ernte vernachlässigt, kann sich keine Tickets leisten. Ein Teufelskreis.


Episode 3: Im Stadion            

Ich erwähnte es bereits. Der Paderborner liebt die Ruhe. Vormals herrschte deshalb auch in der hochmodernen Benteler-Arena vor allem eines: Ruhe. Ungestört unterhielt man sich über den kürzlichen Besuch Karls des Großen  oder die bevorstehende Abendmesse im Paderborner Dom. Doch seit man in der Benteler-Arena nicht mehr unter sich ist, ist das Privileg der Ruhe dem Lärmbedürfnis der Gästefans zum Opfer gefallen. Lautes Klatschen und bierseliger Gesang machen das vertrauliche Gespräch mit dem Sitznachbarn zur Tortur, so dass eine Interessengemeinschaft aus alteingesessenen Dauerkartenbesitzern eine Sammelklage einzureichen gedenkt, nach der das Austragen von Fußballspielen in der Benteler-Arena zumindest am Wochenende untersagt werden soll.

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