In einem
beliebigen Fernsehstudio
Ein schmieriger Moderator tritt vor die Kamera. Er
kündigt ein Exklusivinterview mit Mario Götze an und hat sich auch schon eine
ganz tolle Frage überlegt:
„Herr Götze, erzählen Sie uns doch bitte etwas
über die Philosophien von Jürgen
Klopp und Pep Guardiola.“
Der Jungstar denkt einen Augenblick nach, blickt
bedeutungsschwanger in die Kamera und sagt:
„Ich
glaube, Jürgen Klopp hat die Philosophie
zu kontern, das Konterspiel zu verfeinern und schnelle Angriffszüge zu spielen.
Bei Pep Guardiola geht es viel um Ballbesitz, ein Spiel zu dominieren und
möglichst hohes Pressing zu spielen."
Derweil im
Paradies
Ein weißbärtiger Mann in Toga betritt die himmlische
Bar. Mit gesenktem Haupt tritt er vor die Theke und bestellt einen doppelten
Schierlingsbecher „on the rocks“.
Geht’s
noch?
„Diametral
abkippende Sechs“, „polyvalenter Spieler“, „Vier Phasen-Modell“: Seit Trainer
für sich in Anspruch nehmen, über eine sogenannte „Philosophie“ (zur
Erinnerung: philosophia = „Liebe
zur Weisheit“) zu verfügen, fühlen sie sich dazu genötigt, zu reden, als hätten
sie tatsächlich eine. Hintergrund ist die landläufige Auffassung, eine
Philosophie läge immer dann vor, wenn jemand etwas sagt, das keiner versteht, aber
von jedem bekräftigend abgenickt wird.
Wenn mein
Jugendtrainer früher in die Kabine gekommen ist, hat er Dinge gesagt wie:
„Chuck, das war super. Super scheiße.“
Da gab es
keinen Interpretationsspielraum und ich wusste genau, was in der zweiten
Halbzeit zu tun war: Fußball spielen.
Heute
verteidigt der heilige Pep nach einem 0:4 im Champions League-Halbfinale mit
emotionalen Worten seine Philosophie und statt einfach mal bei allen
Fieber zu messen, die dabei ernst bleiben können, wird der einzige Spieler der mit
einem Recht, das in der Nähe des Naturrechts anzusiedeln ist, grinsen muss, aus
dem Kader gestrichen.
Kloppe im Hause Yin und Yang
Ich liebe
den Fußball, weil ich mich mit den allermeisten Menschen auf der Welt ohne Verständnisschwierigkeiten
über ihn unterhalten kann. Ich liebe den Fußball, weil ich auch nach vierzehn
Weizen noch mitbekomme, dass der EffZeh gewonnen hat und weiß, dass das alles
ist, was zählt.
Ich liebe
die Philosophie, weil ich mit ihr alleine sein kann und nach der Beseitigung
von Verständnisschwierigkeiten etwas Neues über die allermeisten Menschen der
Welt gelernt habe. Ich liebe die Philosophie, weil ich auch nach vierzehn
Weizen noch weiß, dass ich nichts weiß.
Und manchmal
macht es tatsächlich Sinn, ein wenig über den Fußball zu philosophieren. Immerhin
vermag er es, trotz seiner offenkundigen Nebensächlichkeit, mich in emotionale
Zustände zu versetzen, die etwas Existentielles zu haben scheinen. Doch eben
diese wunderbare Eigenschaft des Fußballs droht zu verpuffen, wenn in der
Kneipe niemand mehr auf das Spiel achtet, weil ein betrunkener Experte meint,
über Sinn und Unsinn der „falschen Neun“ philosophieren zu müssen, statt,
wie es sich für einen vernünftigen Fan gehört, aus heiterem Himmel eine rote
Karte für den gegnerischen Stürmer, diese „dumme Sau“, zu fordern. In solchen
Momenten wird offensichtlich, dass sich das Verhältnis zwischen Fußball und
Philosophie zu Ungunsten der schönsten Nebensache der Welt verschoben hat. Hier
wächst zusammen, was nicht zusammen
gehört . Bei zu viel
Gegensätzlichkeit hätten sich sogar Yin und Yang den ganzen Tag gegenseitig auf
die Fresse gehauen.
Ein verzweifeltes Plädoyer
Aus den
genannten Gründen plädiere ich für Folgendes: Entsteigt euren beschissenen
Champions League-Anzügen, lasst euch einen vernünftigen Schnubi stehen und
zieht euch verdammt noch mal diese riesigen Stöcke aus dem Arsch. Hört auf mit
eurem pseudophilosophischen Gegacker und nehmt euch ein Vorbild an euren
Vorfahren. Es soll ja Trainer gegeben haben, die mit einer einzigen Weisheit
deutscher Meister geworden sind: „ Das Runde
ist der Ball“. Und viel mehr ist da
auch nicht.
Der Tag, an
dem es mit Chuck zu Ende geht
Es ist ein lauer Sommertag. Ein sanfter Wind weht
so behutsam durch das Stadion, als wollte er Rücksicht auf die
hochkonzentrierten Akteure nehmen, die sich im Spitzenspiel gegenüberstehen.
Das Spiel läuft seit zwölf Minuten. Der Ball liegt nach wie vor auf dem
Anstoßpunkt. Niemand rührt sich. Ein jeder lauert angespannt auf den ersten Zug
seines Gegenspielers. Auf der Tribüne schlägt ein feingliedriger älterer Herr
in Chinos und Rollkragenpullover seine Beine übereinander, nippt an seinem Martini,
schaut bedächtig auf seine Fliegeruhr und sagt:
„Faszinierend. Es ist faszinierend.“
An dieser Stelle betritt kein dunkler Zauberer die Szenerie und belegt den Mann und seine
Familie bis in die siebte nachfolgende Generation mit einem grausigen Fluch. Es
stampft auch kein 15 Meter großer
Gorilla durch das Stadion und führt jeden Beteiligten seiner gerechten Strafe
zu. Nicht einmal ein klitzekleiner Hurrikan lässt sich dazu überreden, die
Anwesenden so lange umherzuwirbeln, bis sämtliche Synapsen im Hirn wieder
richtig geschaltet sind. Stattdessen darf der nicht weniger feingliedrige
Sitznachbar ungestraft erwidern:
„Du sprichst ein wahres Wort, mein geschätzter
Sitznachbar. Seit die meisten Teams der Philosophie des ‚kontrollierten
Abwartens‘ frönen, hat sich der Fußball einen weiteren Schritt in die richtige
Richtung bewegt.“
Viele Kilometer entfernt, in einer einsamen
Dachgeschosswohnung, sitzt Chuck vor seinem Fernseher und weint. Er steht auf,
stellt sich auf einen Hocker, bindet sich die eine Seite seines EffZeh-Schals um den Hals und
befestigt die andere Seite an einem Giebelbalken. Er wirft einen letzten Blick
auf den Bildschirm und versucht, zu verstehen.
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